Notebook

Shakespeare auf Türkisch

Bremen. In Albträumen wird man auf unterschiedliche Art und Weise gequält, und manchmal verhandelt das Unterbewusste sogar Existenzielles. So geschieht es in dem Stück "Iki kişilik kâbus", das das türkische Tiyatro Bereze am Donnerstagabend in der Bremer Shakespeare Company zeigte.

"Ein Albtraum für zwei" heißt der Titel, wenn man ihn ins Deutsche übersetzt; die freie Gruppe aus Istanbul hat ihrem Stück aber noch eine zweite Überschrift mitgegeben: "Macbeth". Shakespeares Tyrannendrama, gespielt von zwei Personen in knapp 80 Minuten? Das geht, wenn man derart präzise die Essenz der Tragödie herausarbeitet wie das Schauspieler-Ehepaar Elif Temuçin (Lady Macbeth) und Erkan Uyanıksoy (Macbeth) in Zusammenarbeit mit Regisseur Dogu Akal.

Die beiden spielen in ihrer Muttersprache (mit deutscher Übertitelung), die vielen Zuschauern an diesem Abend vertraut ist. Die Shakespeare Company ist sehr gut besucht, ein großer Teil des Publikums hat türkische Wurzeln – was in deutschen Theatern selten der Fall ist. Temuçin und Uyanıksoy ziehen alle sofort und dauerhaft in das nicht unkomplizierte Geschehen hinein, indem sie ihre Interpretation geschickt zwischen den Kunstformen des Erzählens und des Performativen auspendeln. Der Beginn beispielsweise ist stark pantomimisch, ja tänzerisch geprägt: Der Traum beginnt, die beiden wälzen sich im Bett, finden keine Ruhe. Schlafwandlerisch wird eine Schlacht imaginiert, die sich ins Splatterhafte zu steigern scheint. Und schon sind wir bei der berühmten Szene auf der Heide angelangt, der ersten Prophezeiung der Hexen: Macbeth soll König Schottlands werden.

Das darauf Folgende, vom Königsmord über die Tyrannenherrschaft bis zu Paranoia und Tod des blutigen Paars, wird teils in bester orientalischer Erzähltradition wiedergegeben, teils deklamiert das Duo die von Sebahattin Eyüboğlu ins Türkische übertragenen Shakespeare-Verse, immer ist der Körpereinsatz hoch und oft auch hoch-poetisch. Wenige Requisiten verorten das Stück im zeitlosen Raum, mal bimmelt ein Mobiltelefon, mal attackiert Macbeth mit einer Wasserpistole ein Kunstblumengestrüpp. Immerhin träumt sich hier ein modernes Paar in den Diskurs um Macht und Hierarchien hinein und merkt dann schnell: Wer seine Herrschaft auf Unrecht gründet, der wird nicht wirklich froh. Wie gut, dass das junge Paar zum Schluss wieder aufwacht, wenn auch ramponiert. Die Beatles singen "All You Need Is Love" dazu.

Wenn eine Theatergruppe aus der Post-Putsch-und-fast-nicht-mehr-Demokratie-Türkei "Macbeth" auf diese Art spielt, stellt sich natürlich die Frage nach der Metaebene. Und ja, Erkan Uyanıksoy parodiert in einigen Szenen, in denen er über die Großartigkeit des Volkes schwadroniert, den Stil Recep Tayyip Erdogans. Das Publikum hat verstanden und lacht. Als dezidiert politisches Statement wollen die Theatermacher ihr Stück aber nicht verstanden wissen, wie sie in der anschließenden Diskussion betonen. Das ist auch gar nicht notwendig, seinen Vers kann man sich trotzdem machen, beeindruckend ist, wie fein die Aufführung ihren verknappt-verspielten Neuansatz mit dem politischen Diskurs des Originals verquickt. Vielleicht liegt die Zurückhaltung der Theatermacher aber auch daran, dass Kulturschaffenden in der Türkei Repressalien drohen, wenn diese sich kritisch äußern.

Erkan Uyanıksoy, der mit seiner Macbeth-Interpretation für den wichtigsten türkischen Theaterpreis nominiert war, bringt allerdings noch eine andere Erklärung ins Spiel. Ihm sei aufgefallen, dass aus jedem Ereignis in der Türkei derzeit "eine große Welle" in Europa gemacht werde. Wenn man in dem Land lebe, empfinde man aber längst nicht alles als so skandalös; viele Berichte seien übertrieben, einige schlicht falsch. Ein Aufführungsverbot für Stücke von Brecht oder Beckett beispielsweise gebe es entgegen anderslautender Meldungen nicht, so Regisseur Akal. Es war ein in vieler Hinsicht nachdenklich stimmender Abend.

Iris Hetscher
15.10.2016
Online Link