Tenkit

Ich kenn dich nicht

Die Bremer Shakespeare Company spielt höchst vergnüglich ein Wechselspiel
''Jeder spricht mich an mit meinem Namen: Der bietet Geld mir an, der laedt mich ein, der dankt für meine Freundlichkeit'' - Antiphola, zum erst Mal in ihrem Leben als Touristin in Ephesus, ist verwirrt. Denn sie kennt niemanden von all den Leuten, die ihr in dieser Stadt fern der Heimat begegnen und die so genau zu wissen scheinen, wer sie ist: Antiphola naemlich, die rauchende, saufende Lebefrau in schwarzer Lederjacke, auf dem Motorrad durch Ephesus brausend und verheiratet mit dem weinerlichen Adrian.
Aber Antiphola, das ist doch auch die freundliche junge Frau in der braven Wickeljacke, die brav Selfies von allen Sehenswürdigkeiten macht? Dieser Antiphola wird es schnell unheimlich in der Fremde. Eins aber hat sie mit der anderen doch gemeinsam: Dass sie nicht durchschaut, dass die seit einem tragischen Unfall auf See verschollene Zwillingsschwester auf einmal ihre Wege kreuzt. Begleitet werden die beiden jungen Frauen übrigens von ihren Dienern, die, so ein Zufall, ebenfalls ein getrenntes Zwillingspaar mit Namen Dromio sind. 
Soweit der Boden, den die Bremer Shakespeare Company recht originalgetreu für ''Die Komödie der Irrungen'' ausgebreitet hat. Neben der Tatasche, dass aus Zwillingsbrüdern das 16. Jahrhunderts Schwestern von heute geworden sind, hat das Ensemble noch einen zweiten eigenen Akzent gesetzt: Auf der Bühne werden Deutsch und Turkisch gesprochen. Das passt zu Ephesus, dessen historische Überreste an der türkischen Westküste liegen, und es fügt sich ein in die Geschichte der Zusammenarbeit des Istanbuler Theaters BeReZe und der Shakespeare Company, die 2016 mit einem Gastspiel in Bremen begann und 2019 die erste Koproduktion ''Coriolanus'' hervorgebracht hat.
Genial ist nun aber, dass die Sprache gar nicht so wichtig ist, eil die Fünf auf der Bühne mit Körper, Gesicht und Stimmbaendern so treffend, einfallsreich und dabei hinreissend komisch nahezu alles ausdrücken, was für dieses Stück wichtig ist. Das Aufheulen des Motorrads etwa, auf dem Dromio und Antiphola, die Ausschweifende, zum zwielichtigen Lokal ''Stachelschwein'' röhren, oder die Rückblende zum Schiffbruch, den die Zwillingspaare einst mit ihren Eltern erlitten - inklusive übler Seekrankheit, einem splitternden Mast und einer türkischen Version des Titanic-Klassikers ''My heart will go on''. All das, spielt in bewunderswert rasanter Abfolge, erzeugt so viel Dynamik und Situationskomik, dass ein aufwendigeres Bühnenbild oder gar Requisiten eher abgelenkt als gefehlt haetten.
Dass das Spiel mit und in zwei Sprachen auch tiefere Bedeutung hat, laesst sich in die Inszenierung hineinlesen, draengt sich aber nicht auf. Die deutsch-türkischen Dialoge vermitteln durch ihren Ton und die ein oder andere wiederholende Nachfrage locker, worum es geht, bieten einem zweisprachigen Publikum aber sicher noch ein Extra. 
Herrlich ist die Verkörperung verfestigter Klischees, die vor allem der platinblonde, Jogginganzug tragende Ehemann Adrian (Tim Lee) in den Vordergrund stellt: Selbst beim schablonenhaften Macarena-Tanz, von seiner temperamentvollen Schwester Luciana elegant-verführerisch vorgeführt, bringt er - wen wundert es - nichts als steife Kantigkeit zuwege.
In ihren Doppelrollen wechseln Sofie Alice Miller (Antiphola) und Erkan Uyanıksoy (Dromio) höchst überzeugend und dynamisch zwischen liebem und draufgaengerischem Duo. Elif Temuçin bringt eine besonders ausdrucksstarke Mimik und tollen Gesang auf die Bühne. Das Quintett ergaenzt Markus Seuss, unter anderem als zum Leben erwachte Statue und Fürst von Ephesus.
Zugegeben: Schon eine Weile vor der Pause kommt im Stillen die Frage auf, wie lange die Komik der Verwechslungsgeschichte - ''Ich kenn dich nicht'', ''Du warst gerade dort?'' - noch traegt. Doch das ist aus zwei Gründen zu vernachlaessigen. Denn zum einen gehört es zum Wesen der Komödie, dass sie groteske Szenen zeichnet und übertreibt, dass sie die Logik nicht bis ins Letzte verfolgt und, auch das ist absehbar, dass sie auf ein glückliches Ende zulaeuft. Und zum anderen bietet dieser Abend mit viel Witz, Überraschung un Tempo schlicht eine höchst qualitaetsvolle Unterhaltung. 

Katia Backhaus
Kreiszeitung, 19.04.2023