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Held scheitert an seiner Arroganz

Die zweisprachige Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Tiyatro BeReZe aus Istanbul. Das um 1608 entstandene Stück erweist sich als hochaktuell.

BREMEN Ihre Namen werden nicht genannt, aber sie sind bei der Premiere von „Coriolanus“ am Donnerstag im Theater am Leibnitzplatz in Bremen präsent: die Despoten, Populisten und Feinde der Demokratie dieser Welt. Die zweisprachige Inszenierung des selten gespielten Shakespeare-Stücks unter der Regie von Dogu Yasar Akal ist etwas Besonderes. Es ist eine deutsch-türkische Koproduktion der Bremer Shakespeare-Company mit dem Tiyatro BeReZe aus Istanbul und nimmt die Strukturen der Demokratie im Zusammenspiel von Politik und Gesellschaft unter die Lupe. Aktueller kann Theater nicht sein.

Das um 1608 entstandene Stück spielt Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Rom. Die römische Republik ist in Aufruhr, das Volk hungert und fordert die Öffnung der Kornspeicher. Ein Sündenbock für die hohen Brotpreise ist schnell gefunden: der Kriegsheld und Patrizier Caius Martius Coriolanus. Die Plebejer skandieren: Coriolanus muss weg. Wer erinnert sich da nicht an die „Merkel muss weg“-Rufe auf Pegida-Demonstrationen?

Sein Vertrauter Menenius Agrippa versucht die Plebejer mit der Fabel vom Magen und den rebellischen Körperteilen zu beschwichtigen. Versehen mit barocker Perücke und einer Brille mit dicken Gläsern, ist Erkan Uyaniksoy in dieser Rolle in seinem Element. Die Fabel durchzieht die gesamte Inszenierung und sorgt immer wieder aufs Neue für Lacher.

Monolog des Schwertes

Witzig und schlagfertig begleitet Agrippa den Weg von Caius Martius bis in den Abgrund. Markus Seuss bringt den widersprüchlichen Charakter des Helden und dessen persönliche Tragik eindrucksvoll zum Ausdruck. Als Volkstribunen Brutus und Sicinius überzeugen Elif Temucin Uyaniksoy und Simon Elias, ebenso Svea Meiken Auerbach als machtgierige Mutter Volumnia. Fünf Schauspieler schlüpfen in nicht weniger als 20 Rollen. Eine beeindruckende Leistung, die vom Premierenpublikum auch mit minutenlangem Beifall honoriert wurde.

Auf dem Gipfel der Macht wähnt sich Caius Martius, als er den Angriff der benachbarten Volsker zurückschlagen kann. Der im Zeitlupentempo dargestellte Kampf mit Tullus Aufidius, dem Heerführer der Volkser, und die Schlacht als Ballett-Parodie bewegen sich gefährlich am Rand des Klamauks. Dagegen gehören der Monolog des Schwertes (Simon Elias) und die in Gebärdensprache übersetzte Lobeshymne auf den Kriegshelden (ein grandioses Zusammenspiel von Auerbach und Uyaniksoy) zu den Glanzlichtern dieser Inszenierung.

Nach der siegreichen Schlacht wird Martius der Ehrenname Coriolanus verliehen, und der Senat schlägt ihn zum Konsul vor. Dafür muss der Held beim Volk um Zustimmung bitte. Das findet er demütigend. Arrogant und in seiner Rolle des aristokratischen Patriziers gefangen, weigert er sich, dem Volk Respekt zu zollen. Sein Widerwille ruft die beiden Volkstribunen auf den Plan, die ihr eigenes Machtspiel spielen („Wir holen uns den Staat zurück.“).

Und schließlich ist das Publikum gefordert. In der Pause wird über die Wahl Coriolanus’ zum Konsul abgestimmt. Das Ergebnis ist vorhersehbar und eindeutig, aber das Volk rebelliert gegen die Ernennung. Coriolanus muss sich wegen Volksverrats vor Gericht verantworten und wird aus Rom verbannt.

Tragisches Ende

Das Ende ist – natürlich – tragisch. Coriolanus schließt sich den Volskern an und will an ihrer Seite Rom in Schutt und Asche legen. In einer dramatisch höchst eindrucksvollen Szene lässt er sich von seine Mutter und seiner Frau Vergilia von diesem Plan abbringen, aber der von ihm ausgehandelte Friedensvertrag wird von den Volskern als Hochverrat angesehen. Coriolanus muss sterben, nur in Rom feiert man den herrschsüchtigen Helden weiter als Friedensstifter.

Das Shakespeare-Stück ist einige Hundert Jahre alt, die Ähnlichkeiten mit derzeit handelnden Personen in der Weltpolitik frappierend. Die Inszenierung macht nachdenklich und verdient viele Besucher.

Lore Timme-Hänsel
NWZ
26.10.2019
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