Geglücktes Experiment: Shakespeare Company und Tiyatro BeReZe zeigen “Coriolanus” zweisprachig.
Da sitzen sie sich nun gegenüber, die beiden Kerle, und gönnen dem anderen nicht das Schwarze unterm Daumennagel. Der Römer Coriolanus und der Volsker Tullus Aufidius haben sich aufs Armdrücken verlegt, um endlich zu klären, wer der Stärkere ist. Zuvor haben die beiden sich belauert, beschossen, mit dem Schwert attackiert, aufs Auge und wer weiss wohin gehauen. Und irgendwie wird man die Vermutung nicht los, dass das nur eine verschärfte Variente des Spiels um die grösseren Sandkastenförmchen ist.
Ein echtes Kabinettstückchen bekam das Publikum am Donnerstag bei der Premiere von Coriolanus in der Bremer Shakespeare Company serviert. Den Kampf zwischen den beiden Kontrahenten gaben Markus Seuss und Erkan Uyaniksoy als packende Pantomime, quer über die Buhne und im Zuschauerraum bekriegten sie sich, mal in Zeitlupe, immer wieder hochkomisch. Und auch eine homoerotische Komponente war deutlich zu spüren - zwei Alphamännchen, verknallt in sich selbst und das Spiegelbild, als das der Gegner erkannt wird. Extrem dicht gespielte Szenen wie diese prägten die Inszenierung des eigentlich sehr textreichen Shakespeare-Stücks, das die Company gemeinsam mit der türkischen Teatergruppe Tiyatro BeReZe aus Istanbul entwickelt hat (wir berichteten). Ein überaus geglücktes Experiment, das dem Stück sehr gerecht wird und zugleich die Möglichkeiten eines Theaters auslotet, das Sprache ganz ander einsetzt als üblich.
Gesprochen wird der stark reduzierte Text mal auf Deutsch, mal auf Türkisch, er handelt von Aufstieg, Fall und Tod des (nach neuesten Erkenntnissen fiktiven) Kriegshelden Coriolanus, der im funften Jahrhundert vor Christus in Rom gelebt hat. Der Sinngehalt des Türkischen wird von den deutschen Aktueren geschickt in ihre Texte oder Interaktion integriert; so werden beispielsweise Fragen auf Turkisch gestellt, wird auf Deutsch geantwortet. Oft wirken die Monologue und Dialoge schlicht durch ihre Sprachmelodie, die wie eine Toncollage prototypischer Phrasendreschrei oder Wutreden wirkt. Der text wird so zu einem Element unter vielen.
Sowieso is die Inszenierung von Dogu Akal deshalb so flott, abwechslungsreich und frech, well viele Szenen nonverbal oder minimal-verbal gespielt werden. Elemente aus dem Clowns und Tanztheater sind eingewoben, viel Pantomime, manches wirkt wie brutales Ballet. Aus der Tragedy of Coriolanus, so der Originaltitel, wird so eine Farce. Deren spöttischer Unterton ist allerdings mit Bitterkeit versetzt, denn das Stück verhandelt die Fragilität von Demokratie und passt von daher fast schon erschreckend gut ins Heute.
Zu Beginn protestieren die Römischen Plebejer gegen den Senat und den Adel: Es mangelt an Korn, also an Brot, und man erinnert sich an ähnliche Demonstrationen, die es kürzlich in Chile (gegen Fahrpreiserhöhungen) oder im Libanon (gegen Korruption und Mangel) gab. Es herrscht Unruhe im Land. Alle fünf Schauspieler bilden abwechselnd die wütende Menge und die Polizeienheit, die diese auseinanderzutreiben versuzht; die Rollenverteilung ändert sich eben ja auch nicht aktueller Interessenlage. Und so geht es auch nicht gerechter und transparenter zu, als die Plebejer sich durch Volkstribunnen vertreten sowieso alle immer nur ihre eigene Suppe kochen.
Das gilt in grösserem Masse sowieso für den patrizischen General Caius, der nach dem Sieg über die mit Rom verfeindeten Volsker in der Stadt Corioli den Beinamen Coriolanus führen darf. Nun will er Konsul werden, auch der Gedanke einer Tyrannenherrschaft scheint ihm nich fremd. Markus Seuss spielt ihn als ungeduldigen Gockel, gleblendet von dem unerschütterlichen Glauben an die eigene Grossartigkeit. Wer sich hier an gleich mehrere derzeitege Staatenlenke erinnert fühlt, liegt sicher nich falsch. Die plebejischen Tribunen verachtet Coriolanus zutiefst. Simon un Elif spielen sie als Figuren, die sich schnell an ihrem Antell der Macht berauscht haben und dann das Volk eher manipulieren denn beteilingen. Coriolanus wird schliesslich verbannt; der Begriff Volksverrater wird dabei von beiden. Perteien gerne un laut hin und her geschrien. Auf der Strecke beleibt zum Schluss nicht nur Coriolanus, schwerst versehrt sind irgendwie alle. Am allermeisten die Demokratie.
Iris Hetscher
Weser-Kurier
26.10.2019