Sehr lange schon liegt dieses Thema in der Luft, auch und gerade im Theater. Denn wenn es sich tatsächlich multikulturell empfindet, ja empfinden muss, weil auch Publikum und Gesellschaft sich verändert haben, stellt es sich ganz automatisch die Frage, wem es was zeigen will. Soll und kann es dabei bleiben, dem mittlerweile ja aus vielerlei Bevölkerungsgruppen gemischten Publikum immer nur das Material deutscher (oder in deutscher Übersetzung angeeigneter) Leit-Kultur vorzusetzen? Oder geht es neue Wege – und wenn ja: welche?
Ursprünglich war auch die bremer shakespeare company auf der üblichen Spur – und hatte freie Theatergruppen mit außerdeutschen kulturellen Wurzeln ins eigene Haus eingeladen. Das Tiyatro BeReZe um Elif Temucin und Erkan Uyaniksoy etwa gastierte zunächst mit eigenen Produktionen im Bremer Theater am Leibnizplatz; und noch vor der Pandemie entstand das erste gemeinsame (und auch sprachlich durchmischte) Projekt: Shakespeares Drama um den Feldherrn „Coriolanus“.
Pfiffig ist das Motto für die nunmehr mit der „Komödie der Irrungen“ fortgesetzte Zusammenarbeit: „Ikizini Arayan Tiyatro“, Theater auf der Suche nach einem Zwilling … Exakt darum geht es in der 1594 fertiggestellten Komödie, für die Shakespeare beim römischen Autor Plautus wilderte; und das Chaos der mit Zwillingen möglichen Verwechslungen effektsicher verdoppelte.
Zwilling mal zwei ist heute selbstverständlich nicht mehr genug: Die Zwillinge bekommen Zwillinginnen an die Seite gestellt. Auf der weiten Seereise von Syrakus auf Sizilien bis ins westtürkische Ephesus hat ein Kaufmann im Mittelmeer-Sturm einst Schiffbruch erlitten. Die beiden Töchter wie die Söhne einer Bediensteten wurden getrennt. Nun suchen die Gäste aus Syrakus in Ephesus die dort längst heimisch gewordenen verlorenen Familien-Teile.
Und natürlich wird abendfüllend immer ein Zwilling, oder eine Zwillingin, im falschen Moment für die falsche gehalten. Während über Papa das Fallbeil schwebt – wer unerlaubt nach Ephesus kommt, zahlt entweder viel Geld an den Herzog oder wird hingerichtet. Aber zum Glück hat ja auch Mama den Schiffbruch überlebt – und ist mittlerweile Äbtissin in einem Kloster von Ephesus. Sie kann allen Kuddel, allen Muddel und das ganze Shakespeare-Minglemangle schlussendlich auflösen. Das Fest zum Happy-End ist gesichert.
Komödien dieses bis ins Detail ausgefeilten Kalibers sind harte Arbeit für alle, die sie spielen: Jeder Fehler, jeder falsche Schritt und jeder falsche Ton muss hundertprozentig stimmen, damit die Missverständnisse blühen und der Wahnsinn immer neue Kapriolen schlägt. Wie aber geht das, wenn die Handlung in zwei Sprachen durcheinanderwirbelt?
Das Tiyatro BeReZe und die bremer shakespeare company stürzen sich mit der Inszenierung von „Rejisör“ Dogu Yasar Akal ziemlich mutig ins Abenteuer – und verzichten dabei vor allem vollständig auf wie immer geartete Übertitel. Die würden bei der Geschwindigkeit der Farce um zweimal zwei Zwillinge im Übrigen auch kaum hinterher kommen … stattdessen verlässt sich das Ensemble auf einen aus Komödien durchaus vertrauten Effekt – dass nämlich Antworten oft die zuvor gestellten Fragen inhaltlich doppeln, dass also aus dem zweiten Teil der Dialog-Passage oft rückgeschlossen werden kann auf die erste.
So stimmt zwar auch der Satz „Ich versteh‘ kein Wort!“ unablässig, aber immer beglaubigt die eine Hälfte trotzdem die andere: Deutsch das Türkische und umgekehrt der türkische Ton den deutschen. Das Ergebnis ist extrem verblüffend – jeder Teil des Publikums steht immer eine Weile verständnislos wie der Ochs‘ vorm Tor, wird aber mit kleiner Verzögerung immer wieder hineingezogen in den Strom des Spiels.
Um das Publikum auf dieses Abenteuer zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen einzustimmen, beginnt Akals Inszenierung klugerweise mit Sprachen und Bildern, die jeder und jede versteht: Vogelzwitschern, Rhythmen aus der Human-Beat-Box, also mit der Stimme dicht am Mikrophon, immer wieder mit Musik; und optisch mit gestisch-pantomimischem Spiel um Statuen, Brunnen und sehr viel Wasser. Immerhin erzählt der vom Tode bedrohte Kaufmann ja um das eigene Leben: vom Schiffsuntergang und von der auseinander gerissenen Familie. Wer der bislang noch sprachlosen Szenerie zu Beginn folgen kann, hat auch später allerbeste Chancen – wenn sich die Sprachen mischen, abwechseln und überlappen.
Und das Ensemble der bremer shakespeare company ist obendrein daran gewöhnt, dass immer jeder alles können muss und Identitäten wechselt wie Jacke, Hemd und Hut; die zwei Stunden Spiel vergehen im rasendem Kostümwechsel. Elif Temucin und vor allem Erkan Uyaniksoy passen fabelhaft in diese Stimmung dauernder Verwandlung; sie in eher feinen Haltungen, er demgegenüber als ungeheuer schnell wirbelnder Theater-Clown. Auch das schier unerschöpfliche gestische Repertoire des Ur-Komödianten Uyaniksoy hilft dem Publikum über manche Verständnis-Lücke hinweg. Natürlich spielt er auch „Väter der Klamotte“; aber da wiederum halten auch die Shakespeare-Kräfte Sofie Alice Miller, Tim Lee und Markus Seuss umstandslos mit.
Das Bremer Abenteuer lohnt jede Mühe. Und eine Art Fortsetzung mit ganz anderem Thema und Ton folgt am Hessischen Landestheater in Marburg: Dort arbeitet die überaus erfolgreiche Autorin Nino Haratischwili gerade an einer Inszenierung, die die eigene georgische Sprache mit der deutschen mischt. Das wird gewiss eine ganz andere Form von Begegnung – aber mit Sicherheit ein weiterer Beleg dafür, um wieviel gründlicher sich das Theater absehbar mit dem Thema verschiedener Sprachen beschäftigen wird; und beschäftigen muss.
Michael Laages
Die Deutsche Bühne
16. April 2023
LINK